Ausstellung – Tafeln und Texte

Kurze Texte zu den hier dargestellten Personen ab Bild 4 siehe unten.
Die ausführlichen Texte und die Fotos zu allen 34 Porträts finden Sie in der Buchpublikation.
Die Interviews wurden 2011 und 2012 geführt.

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Koka Ramischwili, Bildender Künstler, 1956
In zwei Welten hat Koka schon als Kind gelebt. Seine Mutter ist Estin und er war in seiner Jugend oft in Tallinn und kam in Kontakt mit Finnen und Schweden. Was ihn am Westen damals schon reizt, ist die offene und kritische Auseinandersetzung. Entscheidend wird jedoch die Freundschaft mit dem Aktionskünstler Flatz, durch den er viele Jahre später nach München kommt. Es folgen Einzel- und Gruppenausstellungen z.B. im Haus der Kulturen der Welt in Berlin, er vertritt 2002 die Schweiz und 2009 Georgien auf der Biennale von Venedig. Von Februar bis Mai 2014 zeigt Häusler Contemporary Zürich seine Einzelausstellung Radiance.
Aber Koka verliert nie den Kontakt zu seinen Wurzeln. Es ist ihm wichtig, jedes Jahr einige Monate in Tbilissi zu verbringen: „Meine Arbeit und meine Herangehensweise haben etwas mit diesem Land zu tun, es gibt mir Energie. Meine Frau, eine gebürtige Georgierin, ist Schweizerin. Wir wohnen in Genf. Ich lebe in zwei Welten und beide sind mir sehr wichtig.“

Tsitso Gogoladse, Schneiderin, 1957
Tsitso Gogoladse hat in ihrem Dorf in Kachetien in der Schule Deutsch gelernt – und es verbessert, als sie in den Neunzigerjahren für eine deutsche Firma in einer Textilfabrik in Tbilissi arbeitete. Nach zwölf Jahren dort begann sie zu Hause für eigene Kunden zu schneidern. An Aufträgen fehlt es nie.
Ihr Mann arbeitet bei der Familie im Heimatdorf in der Landwirtschaft mit. 2012 haben sie erstmals Trauben geerntet. Der Saft wird eingedickt, dann werden Tschurtschchelas gemacht: Auf einen Faden aufgezogene Hasel- oder Walnüsse, die in die heiße, zähe Masse eingetaucht werden – eine typisch georgische Spezialität, die sehr beliebt ist.

Ia Elisaschwili, Bratschistin, 1964
Als Ia 1990 das Konservatorium beendet, wo sie Bratsche studiert hat, beginnen die schlechten Zeiten: „In der Bürgerkriegszeit gab es nichts zu essen, kein Wasser, keinen Strom, keine Metro. Ich ging stundenlang zu Fuß zur Oper.“ Durch Vermittlung von Gert Hummel, evangelischer Bischof an der deutschen Kirche in Tbilissi, kann sie mit ihrem Quintett in Saarbrücken auftreten.
„Die Oper wird seit einigen Jahren renoviert, wir müssen uns selbst um Auftritte kümmern. Aber bald soll sie wiedereröffnet werden und unter Iwanischwili wird Kultur wieder mehr gelten, wir werden wieder von unserem Beruf leben können.“ Aber nicht nur in die neue Regierung setzt Ia ihre Hoffnungen: “Wir glauben fest daran, dass es mit Georgien weiter aufwärts geht. Unsere große Stütze ist Patriarch Ilia II. Er ist unsere Hoffnung und Georgiens Vater.“

Kacha Gwelesiani, Aufsichtsratvorsitzender der ExpoGeorgia, 1952
Die ExpoGeorgia ist nicht nur wichtigfür Georgiens Export und Import, sondern dank ihres wunderbar angelegten Parks auch ein Genuss für den Besucher. Zurzeit werden die Ausstellungshallen nach europäischem Standard modernisiert.
Kacha Gwelesiani: „In der sowjetischen Zeit war Georgien extrem erfolgreich. Heute ist der Markt zu klein für die vielen gut ausgebildeten Leute. Vor diesem Hintergrund und der geopolitischen Lage eines winzigen Landes zwischen verschiedenen religiösen Kulturen, wirtschaftlichen und politischen Systemen, hat die ExpoGeorgia eine enorme Bedeutung für Georgiens Wirtschaft.“
Kacha nennt einen Aktivposten Georgiens: Seine Glaubwürdigkeit. „Niemand würde Steuern zahlen wollen in einem Land, dessen Regierung nicht glaubwürdig ist. In diesem Punkt unterscheidet sich Georgien von anderen post-sowjetischen Ländern: Hier zahlt jeder seine Steuern.“

Manana Macharadse, Radiojournalistin, 1949
Seit über 30 Jahren arbeitet sie beim öffentlichen Fernsehen: zuerst als Regieassistentin, schließlich als Autorin und Regisseurin von Kultur- und Wissenschaftssendungen im öffentlichen Hörfunk Radio 1.
„Interessanterweise konnten wir in der Sowjetzeit trotz des Drucks aus Moskau unsere georgische Identität in den Medien besser bewahren als heute in der Unabhängigkeit: Es gab qualitativ sehr anspruchsvolle Filme auf Georgisch. Heute werden fast alle Formate aus dem Ausland übernommen, rein georgische Sendungen sind seltener geworden – Globalisierung auf Kosten der kulturellen Identität.“
Manana machte sechs Jahre lang eine Hörfunkreihe, von der 800 Folgen gesendet wurden: Kleine Geschichten aus unserer Stadt. In 20-Minuten-Beiträgen erzählen Menschen wie du und ich aus ihrem Leben – über ihre Jugend, ihren Beruf, über die Liebe – lauter sehr persönliche Geschichten.
Heute macht sie eine medizinische Ratgebersendung für Eltern im Hörfunk. Den Sendeplatz finanziert der staatliche Rundfunk, ihr Gehalt wurde einige Jahre von Hipp übernommen, jetzt von Humana.

Elsa Bagdasarian, Maniküre, 1936
In der Sowjetzeit arbeitet sie 45 Jahre lang als Nagelpflegerin in einem renommierten Kosmetik- und Friseur-Salon. Um 1998 wird der Salon privatisiert, die Mitarbeiter übernehmen ihn. Aber die Zeiten sind schlecht, niemand kann sich mehr Extras leisten. Die Teilhaber verkaufen den Salon. Heute arbeitet Elsa bei einer ehemaligen Kollegin auf eigene Rechnung.
Trotz ihrer 76 Jahre will sie weiter arbeiten: Die Rente ist niedrig, Strom und Gas sind teuer, und man hat Angst krank zu werden – wegen der Kosten. Wie viele andere hofft sie, dass die angekündigte Krankenversicherung für alle bald Realität wird.
Immerhin war sie schon drei Mal in den USA – ihre Tochter lebt dort und hat ihre Reise bezahlt. Mit ihr und den Enkeln pflegt sie den Kontakt über Skype.

Marina Baidashwili, Kinderfrau, 1956
Zur Sowjetzeit war sie Ingenieurin bei der Feuerwehr, ebenso wie ihr Mann, der dort in leitender Position arbeitete. Als in der Bürgerkriegszeit das Parlament angegriffen wird, kommt er im Einsatz durch eine verirrte Kugel ums Leben. Sie bleibt mit zwei kleinen Kindern zurück.
Und das in einer absoluten Krisenzeit: der Krieg in Abchasien, die Zeit ohne Strom und Gas, die Korruption, die stets präsente Kriminalität. Mit den zwei kleinen Kindern kann sie nicht genug Geld verdienen, über Jahre ist sie auf Hilfe angewiesen. Als es aufwärts geht, findet sie keinen Anschluss mehr in ihrem Beruf. Eher durch Zufall wird sie Kinderfrau – und findet darin ihre eigentliche Erfüllung.
Und so bezeichnet sie sich heute als glücklichen Menschen. Es gibt aber noch einen zweiten Grund: „Ich hatte einen wunderbaren Mann. Die Liebe, die er mir gegeben hat, trägt mich bis heute. Und ich habe zwei gut geratene Söhne und sehr liebe Freunde und Verwandte.“

Tina Geladse, Laborantin im Ruhestand, 1947
Tina Geladse arbeitete über Jahrzehnte als Laborantin – auch als die letzten neun Jahre keine Gehälter ausbezahlt wurden. Das Krankenhaus war für sie ein Zuhause, warum sollte sie daheim sitzen und nichts tun? Und vielleicht kommt ja nächsten Monat das Geld? Inzwischen ist sie im Ruhestand und erhält eine kleine Rente. Sie und ihr Mann sind seit ihrem 14. Lebensjahr verheiratet.
Der größte Einschnitt in ihrem Leben war, als in jener Zeit der Rechtlosigkeit und unkontrollierten Kriminalität ihr Enkel ermordet wurde. „Es war im Lokal bei einer Familienfeier. Der 17-Jährige ging zur Toilette, zwei junge Männer folgten ihm. Wenige Momente später war er tot, erstochen. Er kannte seine Mörder gar nicht. Sie konnten ins Ausland fliehen. Auf Polizei und Gerichte war kein Verlass.“
Wie so viele hofft sie auf Iwanischwili. „Ich hatte schon früher gehört, dass er in seinem Heimatort Krankenhäuser und Schulen gebaut hat. Er blieb immer anonym. Heute weiß man: Er hat auch in Tbilissi viele Gebäude renovieren lassen.“

Simon Daschtu, Haustechniker und Mann für alles in der Augenklinik, 1949
Simon Daschtu ist assyrischer Christ, eine Minderheit in Georgien mit eigener Sprache. Früher war er Schauspieler, Beleuchter und Kameramann beim Film, heute arbeitet er als vielseitiger Alleskönner in der Augenklinik – alle kennen ihn und respektieren ihn, denn er kann alles, wirklich alles, reparieren und wieder in Ordnung bringen.
Vor einigen Jahren drehten einige Assyrer zusammen einen Film über ihre Volksgruppe, ganz privat und zum eigenen Spaß. Simon war als Kameramann und Schauspieler mit dabei. Die Assyrer gehört ins Genre des phantastischen Films und ist auf Aramäisch und Russisch gedreht.
Simon ist nicht besonders religiös, in der Sowjetzeit war Religionsausübung nicht gern gesehen. Sein Neffe hat aber wieder Aramäisch schreiben gelernt, eine Schrift, die wie die verwandten Sprachen Hebräisch und Arabisch von rechts nach links geschrieben wird.

Tamara Gurgenidse, Mezzosopran, 1940
In 40 Jahren auf der Opernbühne hatte sie alle Traumrollen eines Mezzosoprans: in Aida, Troubadour, Carmen, Barbier von Sevilla, Eugen Onegin. In späteren Jahren arbeitete sie auch als Regisseurin, heute gibt sie ihr Wissen und ihre Erfahrung als Gesangspädagogin weiter.
Damals in den Sechzigerjahren machte sie schnell Karriere. „Aber das westliche Ausland blieb uns verschlossen. Nur Sänger der großen Theater in Moskau durften ins Ausland reisen. Heute begegnet man georgischen Sängern auf allen großen Bühnen der Welt, auch in der Scala und der Metropolitan Opera.“ Denn die Ausbildung in Tbilissi ist hervorragend, aber in diesem kleinen Land gibt es nicht genügend Bedarf für Sänger, noch dazu, wo seit fünf Jahren die Oper wegen Renovierung geschlossen ist.

Maka Alioglu, Projektleiterin beim Deutschen Volkshochschul-Verband International, 1985
Georgien ist traditionell ein multiethnisches Land. Im osmanischen, zaristischen und sowjetischen Reich waren die Grenzen im Südkaukasus durchlässig – muslimische Aserbaidschaner, christliche Armenier und Georgier, aber auch andere Gruppen wie Juden, Kurden, Aramäer, Russen, Griechen und Kaukasien-Deutsche konnten sich freizügig ansiedeln. In der Altstadt von Tbilissi gehen seit Jahrhunderten die Viertel der Moslems, Christen und Juden ineinander über.
Maka gehört der aserbaidschanischen Minderheit an, die heute etwa sechs Prozent der Bevölkerung Georgiens ausmacht. Sie wurde vor allem von ihrem Vater sehr in ihrem Streben nach einer guten Ausbildung unterstützt: Schon als junges Mädchen durfte sie als Austauschstudentin für ein Jahr in die USA gehen und wenig später ein sechsmonatiges Praktikum bei der UNO in New York machen. Maka Alioglu ist bestrebt, anderen jungen Frauen aserbaidschanischer Herkunft ein Vorbild an Weltoffenheit und Erfolg im Beruf zu sein. Und sie möchte ihnen zeigen, wie wichtig Bildung dafür ist.

Ketato Popiaschwili, Schauspielerin, Sängerin, 1978
Ketato ist 15, als sie sich in den 32-jährigen Schriftsteller und Musiker Irakli Charkviani verliebt und ihn später heiratet – eine Beziehung, die ihr Leben über seinen Tod hinaus prägen sollte.
Sie wird Ballettänzerin, bricht aber diese Karriere mit 22 ab, um mit ihrem Mann Musik zu machen. Irakli Charkviani, ursprünglich Prosaschriftsteller und Lyriker, war in den frühen Neunzigerjahren der Erste, der anspruchsvolle moderne georgische Musik machte -der bewies, dass Liedtexte auf Georgisch nicht banal sein müssen. Bis heute ist er unter seinem Pseudonym Mefe – Der König als Ikone der modernen Musikszene anerkannt.
Ketato war 28, als Irakli plötzlich starb. Heute geht sie ihren eigenen Weg: Sie macht Musik, komponiert und tritt auf. Und sie setzt sich dafür ein, dass das Werk und die Ideen, die er hinterlassen hat, weiterleben.

Solomon Lasariaschwili, derzeit Autohändler, 1966
Georgiens Exportprodukt Nummer 1 sind Gebrauchtwagen. Sie werden aus Westeuropa, den USA und Japan importiert. Die Käufer kommen aus Georgien, Aserbaidschan, Armenien und Kasachstan. Für Leute mit guten Kontakten ins Ausland ist der Autoimport ein gutes Geschäft – wie für Solomon Lasariaschwili: “Von 2002 bis 2011 habe ich in Berlin gelebt. Jetzt bin ich wieder hier. Bis ich Arbeit finde, importiere ich ab und zu ein paar Autos. Im Internet suche ich geeignete Modelle. Meine Freunde in Berlin schicken sie dann per Container nach Georgien.”
Bemerkenswert ist, wie die ursprüngliche Korruption auf diesem Markt durch absolute Transparenz und perfekten bezahlbaren Service abgelöst wurde.
Der damalige Präsident Saakaschwili – dessen Verdienst, mit der Korruption auf der unteren und mittleren Ebene aufzuräumen, auch von seinen Kritikern anerkannt wird – baute diesen Markt 2007 völlig neu auf.

Merab Berdsenischwili, Bildhauer, 1929
Giorgi Tschtschelaschwili, Physiker, 1952
Merab Berdsenischwili, ein berühmter Bildhauer, dessen monumentale Denkmäler vielerorts in Georgien und der ex-Sowjetunion zu finden sind, hat sich intensiv mit der georgischen Geschichte auseinandergesetzt und Figuren oft eigenwillig interpretiert. So etwa seine Medea, die im von Russland besetzten Abchasien am Schwarzen Meer steht. In seiner Version tötet sie ihre Kinder nicht.
Sein Stiefsohn Giorgi, ein Physiker, arbeitet in der Zertifizierung des Bildungswesens, dessen Niveau im letzten Jahrzehnt sehr nachgelassen hat. Außerdem betreut er Berdsenischwilis Werk.

Keti Dschischiaschwili, Künstlerin, Autorin, Übersetzerin, 1979
Keti hat als Kind die schwierige Zeit der Neunzigerjahre bewusst erlebt – beschützt von ihren Eltern und aus der Perspektive eines Kindes. Sie berichtet freimütig über eine Zeit, an die sich die meisten Erwachsenen nicht erinnern wollen. Mitten im Winter gab es plötzlich keine Heizung, keinen Strom: Hausaufgaben bei Kerzenlicht, vier Kilometer Schulweg zu Fuß, und immer Hunger. „Heute habe ich alles, aber im Hinterkopf bleibt die Erfahrung, dass man an einem Tag alles verlieren kann. Wenn einem das tatsächlich passiert ist, dann verändert es das ganze Leben.“

Friedhof in Wake, Tiflis
Textzitat aus: Dato Turashvili, Westflug, Wagenbach Verlag 2014
(Originaltitel: The Jeans Generation)
… „Möglicherweise gab es noch anderen Gründe, aber es ist eine Tatsache, dass die eigene Gruft der einzige Besitz war, den das sowjetische Regime dem Volk gönnte, und damit begann der Niedergang des sowjetischen Georgiers. Der gute Geschmack des Georgiers musste in der Sowjetzeit geradezu verfallen, da der einzige Besitz, über den er noch verfügte, das Grab war, und so fing er an, Grabmäler zu schaffen, wie er sie nie zuvor besessen hatte. War das georgische Grab zuvor immer genial einfach gestaltet gewesen, so hatte sich im sowjetischen Georgien das Verhältnis zum Grab, ja zum Tod im allgemeinen, vollständig gewandelt, und auf den sowjetischen Gräbern sah man fortan marmorne Stühle und Tische, ja sogar Motorräder und Autos. Diese Autos waren zu Lebzeiten ihres Besitzers zwar auf andere Namen zugelassen gewesen, aber der sowjetische Georgier wusste doch mit Gewissheit, das die Gruft sein Eigentum war und dass sie ihm, im Unterschied zu anderen Besitztümern, niemand mehr nehmen konnte. Deshalb sorgte er für sie, verschönerte sie wie er nur konnte und pflegte und hegte mit ihr den einzigen Besitz, den er sein eigen nannte. Und die sowjetische Regierung, die es niemandem zugestand, Haus oder Hof mit einer Mauer zu versehen, nahm keine Notiz davon, wenn man auf seiner Gruft einen Palast baute, denn im eigenen Grab war man frei und das Grab war der einzige Ort in Sowjetgeorgien, auf den sich die Sowjetmacht nicht erstreckte.“

Elene Chudoian, Vorsitzende des jesidischen Jugendverbands, 1982
Elene leitet den Jugendverband der Jesiden. Sie zählen sich zu den Kurden und sprechen auch Kurdisch, ihre Religion ist jedoch vorislamisch mit vielen Elementen altiranischer Kultur. Beide Elternteile müssen Jesiden sein, denn eine Mischehe bedeutet den Austritt aus der Religionsgemeinschaft.
Elene ist seit 2009 Vorsitzende des Jesidischen Jugendverbands. Sie stammt aus einer sehr liberalen Familie und erfährt erst bei ihrer neuen Tätigkeit mehr über ihre Volkszugehörigkeit, die Traditionen und die Religion. Der Jugendverband setzt sich einerseits für die Erhaltung der eigenen Kultur und Sprache ein und andererseits für den Austausch mit anderen religiösen und ethnischen Minderheiten in der Region. Zurzeit organisiert Elene ein internationales Friedenslager für Jugendliche aus Konfliktregionen: Junge Armenier, Türken und Kurden aus dem Irak und der Türkei begegnen sich zum Dialog.

Tsissa Tscholokaschwili, Balletttänzerin, Regieassistentin, 1975
In den Neunzigerjahren ist Tsissa bereits führende Solistin am Staatlichen Paliaschwili Nationaltheater für Oper und Ballett und gastiert in Japan, China, den USA, England, Russland und vielen anderen Ländern. Sie tanzt die Hauptrollen unter anderem in Schwanensee, im Nussknacker und hat führende Rollen in Choreografien von George Balanchine in Stücken von Tschaikowski, Strawinski und Donizetti.
Inzwischen tritt sie zwar immer noch auf, aber sie bildet auch junge Tänzerinnen aus: zurzeit drei Japanerinnen, die in Tbilissi eine einjährige Fortbildung machen.
„Auf der Bühne habe ich alles erreicht. Jetzt gebe ich mein Wissen weiter. Langfristig möchte ich gern Regie machen. Da kann ich noch etwas Neues lernen. Deshalb arbeite ich schon seit einem Jahr als Regieassistentin.“

Marine Solomonischwili, Repräsentantin nationaler und internationaler NGO-Projekte
Gerade als Marine am 9. April 1989 in Moskau den letzten Teil ihrer Promotion in Architektur ablegen sollte, schlugen sowjetische Fallschirmjäger eine gewaltfreie Demonstration in Tbilissi mit Giftgas nieder, was weitreichende politische Konsequenzen hatte. Für sie bedeutete es, dass sie ihr Studium nicht abschließen konnte und ihr Leben in anderen Bahnen verlief.
Sie arbeitet für die jüdische Zeitschrift Menorah und interviewt wichtige jüdische Persönlichkeiten wie die Balletttänzerin Maja Plisetzkaya. Um die jüdischen Frauen in Tbilissi zu einem neuen Frauenbild zu inspirieren, gründet sie einen Salon, wo sie Leute wie die Plisetzkaya vorstellt. Damit beginnt Marines Engagement: 1997 gründet sie einen jüdischen Verband zur Unterstützung von Frauen – LEA, benannt nach ihrer verstorbenen Mutter, von der sie gelernt hat, immer das Gute zu sehen. Bald vertritt LEA Georgien im International Council of Jewish Women. Heute gilt Marines Augenmerk längst nicht mehr nur den jüdischen Frauen, sondern auch dem Verständnis zwischen den ethnischen und religiösen Minderheiten. Dafür arbeitet sie seit zwanzig Jahren – unermüdlich, ehrenamtlich, mit bescheidenen Ressourcen und international vernetzt.

Venra Arbolischwili, Kursleiterin, 1936
Madona Oqropiridse, Büroleiterin, 1957
Nahe Tbilissi liegt das Flüchtlingslager Koda für Binnenflüchtlinge aus Südossetien, das seit dem Krieg vom August 2008 von Russland besetzt ist. Der Deutsche Volkshochschulverband International bietet hier berufliche Fortbildung an, wie Englisch, Computerkurse, Grundkenntnisse für Schneider, Friseure, Schreiner oder Handyreparieren für Jugendliche.
Venra hat – wie die meisten hier – traumatische Erlebnisse hinter sich. Ihr Mann starb, von einer Kugel getroffen, in ihren Armen. Im Quiltmachen hat sie wieder ihre innere Ruhe gefunden: “Ich kann darin meinen ganzen Schmerz ausleben. Es ist wie eine Therapie für mich.” Sie freut sich, wenn unter ihrer Anleitung so schöne Quilts entstehen und die jungen Mädchen ihr handwerkliches Geschick entwickeln.
Madona war im Krieg von 1992 selbst Opfer von Gewalt: Sie wurde als Geisel festgehalten und ihr Mann kam in dem bewaffneten Konflikt ums Leben. Die Arbeit mit und für Menschen war ihr immer ein Anliegen und so wurde sie in ihrem Heimatort Disewi schon bald Bürgermeisterin – bis sie im Krieg von 2008 ihre Heimat verlassen musste. Sie leitet nun das Büro und organisiert die Kurse, ist im ständigen Kontakt mit den Bewohnern, und versucht immer weiterzuhelfen. „Diese Arbeit gibt meinem Leben wieder einen Sinn.“

Baia Puturidse, Lehrerin im Ruhestand,1926
Bis sie 79 Jahre alt war, unterrichtete Baia Puturidse noch Georgisch und Literatur am Ersten Klassischen Gymnasium auf dem Rustaweli-Boulevard. Seit vor einigen Jahren Russisch als Verkehrssprache abgeschafft und im öffentlichen Raum Englisch eingeführt wurde, heißt es Tbilisi Classical Gymnasium. Es wurde 1802 als höhere Lehranstalt für den Nachwuchs der Adeligen gegründet und 1871 in ein klassisches Gymnasium umgewandelt. Viele seiner Absolventen wurden bekannte Persönlichkeiten.
Baia stammt aus einer Familie von Gelehrten für persische und türkische Literatur, ihre Schwiegermutter war Archäologin. Baias Vater wurde zur Zeit der Stalinschen Säuberungen nach Sibirien verbannt. Sie war ein Jahr alt und lernte ihn erst dreißig Jahre später kennen.
Ihre ehemaligen Schüler verehren und besuchen Baia Puturidse bis heute. Am Systemwechsel bedauert sie vor allem, dass in seiner Folge Literatur, Theater und Bildung schlechthin an Wertschätzung verloren haben.

Lewan Tsintsadse, Geigenbauer, 1959
Seine Urgroßmutter war eine der ersten Frauen, die Geigenbauerin war. Sie hatte es in jungen Jahren in St. Petersburg gelernt. Anastasia Dschambakur-Orbeliani stammte aus dem georgischen Hochadel und war eine Nachfahrin des vorletzten georgischen Königs Erekle II. Von ihr hat Lewan Tsintsadse schon als Kind viel über Geigenbau gelernt. Von da an ließ ihn diese Kunst nicht los. Nach Ausbildung und Lehrtätigkeit am Konservatorium wusste er: Sein Ziel war das italienische Cremona, die Heimat des Geigenbaus. Dort konnte er acht Jahre lang das Handwerk erlernen und Berufserfahrung sammeln. Georgien ist jedoch ein kleiner Markt, seine Hauptabnehmer sind in Japan. Für Restaurierung oder Reparatur gibt es jedoch immer Bedarf.

Fotos: Lisa Fuhr, Hubert Kretschmer, Vadim Kretschmer